Als wir in unserer Stuttgarter Komfortzone unsere Route in Nord- und Mittelamerika detaillierter zu planen begannen, warfen nicht nur El Salvador und Honduras Fragen auf, sondern spitzte sich auch die politische Lage in Nicaragua zu.
Zu diesem Zeitpunkt bestimmten blutige Auseinandersetzungen, brennende Autos, Straßenblockaden und das brutale Niederschlagen von Demonstrationen im ganzen Land die Medien. Dazu wurde eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts herausgegeben.
Der amtierende Präsident Daniel Ortega hatte eine Sozialreform angekündigt, die das „Fass zum Überlaufen“ brachte und die Menschen auf die Straße trieb.
Er selbst war einst – Ende der siebziger Jahre – Anführer der sandinistischen Revolution. Die Menschen begehrten auf gegen die Ausbeutung, die Korruption und Vetternwirtschaft des damaligen Präsidenten Anastasio Somoza. Mitglied eines Clans, der nicht davor zurück schreckte, politische „Feinde“ in aktiven Vulkankratern verschwinden zu lassen oder internationale Hilfsmittel zu veruntreuen, die die Menschen aus ihrer Not nach Naturkatastrophen retten sollten – Erdbeben, Vulkanausbrüche, usw…
Aus dieser Revolution ging Ortega ’79 als Präsident hervor, der er zunächst bis 1990 war. 2006 trat er wieder auf die Bildfläche, wurde wiedergewählt und wandelte sich. Von seinen sozialistischen Idealen hatte er sich verabschiedet und seither verschwinden wieder Gelder in den Taschen eines Clans, sehen Kritiker die Versammlungsfreiheit, die Presse-, Meinungs- und Unternehmensfreiheit bedroht, stehen Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung und läuft es wirtschaftlich nicht gut in Nicaragua. Gioconda Belli, die bedeutendste Schriftstellerin des Landes und einstige Revolutionärin an der Seite Ortegas sieht die Geschehnisse von ’79 sich wiederholen. „Die Diktatur ist zurück, die Revolution aber auch.“
Es war laut um Nicaragua im Frühjahr/Sommer 2018. Wir reisten los, ohne zu wissen, wie die Lage sich entwickeln wird, aber im Vertrauen, dass wir zu jeder Zeit neue Entscheidungen treffen können. War unsere Route ja nicht in Stein gemeiselt.
Mit unserem Ankommen in Mittelamerika wurde dann die Frage präsenter, wie denn die Lage in Nicaragua nun ist. Und auch hier waren wir froh um die gute Vernetzung und den Austausch mit anderen Reisenden.
Die einhellige Meinung war, dass Nicaragua momentan problemlos zu bereisen ist. Wenn möglich, sollten wir Managua, die Hauptstadt, auslassen, was wir aber vermutlich ohnehin getan hätten. Es gibt wohl nicht viel Sehenswertes dort – vielleicht hängt das ja mit dem großen Erdbeben ’72 und Somozas großen Taschen zusammen…
So entschieden wir schon recht bald in Mexiko, dass wir an unserem Plan, das Auto ab Panama nach Südafrika zu verschiffen, festhalten können.
Wir überschreiten Grenzen
Der erste Abschnitt unseres Wegs nach Nicaragua brachte uns in El Salvador von der hammock plantation ins nahe der Grenze zu Honduras gelegene La Union, wo wir, wie schon viele vor uns, in der örtlichen Feuerwache – bei den Bomberos – über Nacht stehen durften. Zum Abendessen gab es Pizza und morgens machten die Feuerwehrleute Anprobe ihrer Schutzanzüge – vom Stiefel bis zur Gasmaske wurde alles angezogen und unsere Jungs waren interessierte Zuschauer.
Dann machten wir uns, mit der Idee im Kopf, beide Grenzen von Honduras an einem Tag zu schaffen, auf den Weg. Das ist weniger wegen der Entfernung kritisch (140km in Honduras), sondern, weil es hier wegen aktueller Reformen der Regierung immer wieder zu Straßenblockaden mit brennenden Reifen und oft stundenlangen Sperrungen kommt. Von außen betrachtet wirkt die Thematik ähnlich wie in Nicaragua im vergangenen Jahr. Von ernsthaften Problemen – ernster als ein Zeitverlust von mehreren Stunden – hatte uns aber keiner der Reisenden berichtet. Wir wollten es wagen und starteten.
Ein bisschen geübt sind wir ja zwischenzeitlich und doch hat jeder Grenzübergang wieder neue Hürden, neue Erkenntnisse und neue Fragezeichen.
Die Ausreise aus El Salvador war, wenn man sich einmal an der kilometerlangen LKW-Schlange vorbei geschlängelt hatte, im großen und ganzen unkompliziert. Wir wurden im Vorfeld vor den vielen Helfern, die sich häufig mit Aggressivität aufdrängen, gewarnt und waren vorsichtig. Ganz ohne Hilfe ging es jedoch wegen zahlreicher benötigter Kopien nicht und so suchten wir uns einen, der Englisch sprach und nicht schon gleich nach einem Schlitzohr aussah. Schlussendlich half er uns bis zur Einreise nach Honduras und hatte sich sein Trinkgeld damit verdient.
Der Ausreisebeamte zeigte unseren Stapel Pässe lachend in die Office-Runde und hatte dann Spaß daran, zu versuchen, den Namen des Kindes auszusprechen und herauszufinden, ob er das echte Kind vor der Fensterscheibe zuordnen kann.
Die Einreise nach Honduras zog sich etwas, weil das Prozedere um die Auto-Einfuhr lang dauerte. Hinzu kamen ein Schichtwechsel, laute Baumaßnahmen an den Bodenfließen neben uns und große Hitze. Offensichtlich ist man in Honduras auch etwas genauer, denn es wurden von allen Fotos gemacht und von uns erwachsenen Fingerabdrücke gescannt.
Nach in Summe zwei Stunden, gegen 12 Uhr, waren wir in Honduras und hatten jene 140 unsicheren Kilometer vor uns. Und tatsächlich, wir sahen Brandabdrücke von Autoreifen auf der Straße, konnten Stellen ausmachen, wo sonst Straßenblockaden sind, aber, wir hatten Glück – oder vielleicht einfach kein Pech – kamen ganz ohne irgendeine Verzögerung durch und waren kurz nach drei an der Grenze zu Nicaragua.
Das Grenzhighlight bei der Ausreise aus Honduras war, dass wir innerhalb kürzester Zeit mehrfach auf Bayern München angesprochen wurden und als Marko dann im Office seinen Mitgliedsausweis des FCB zückte schienen einige der Beamten kurz davor, ihn nach einem Autogramm zu fragen. Die Bayern sind hier sowas wie Fussballgötter und wenn ihr, liebe Menschen, die ihr Bayern-München nicht zu eurem Lieblingsverein zählt, mal nach Mittelamerika kommt, ein Tipp: Tut so, als gäbe es keinen anderen Verein! Das hilft besonders an den entscheidenden Stellen – Polizeikontrollen, Grenzen, Wachposten,… Augen zu und so tun als ob. Manch einer soll so schon um Strafzahlungen gekommen sein… 😉
Wir jedoch wollten noch nach Nicaragua einreisen und hatten den, als schwierigsten Grenzübergang Mittelamerikas bekannten Abschnitt vor uns.
Unsere „Grenzerfahrung vier“ des Tages begann mit einer Brücke – der über den Grenzfluss Rio Guasaule. Vor uns zwei Spuren, beide voll mit LKW und rechts daneben so etwas wie ein Fußweg. Ein freundlicher Helfer auf dem Fahrrad bot uns an, uns den Weg für $20 freizuräumen. Fragezeichen. Wie? Da ist doch kein Platz!?! Außerdem sind $20 Doller weit über unserem Trinkgeldbudget für Grenzhelfer. Also nicht, danke nein!
Wie wir noch darüber nachdenken, kommt von hinten ein Pickup auf dem Fußweg(!) an uns vorbei. Er folgt, na, wer kann es ahnen, einem Fahrradfahrer. Also beschließen wir, wir folgen dem Pickup. Am Ende der Brücke fragt uns der Radfahrer noch was, das wir natürlich nicht verstehen (wollen). Vermutlich wollte er wissen, ob wir die $20 Überfahrgebühr bezahlt haben.
So war das Nadelör geschafft. Auf nicaraguanischem Boden wurde das Auto zuerst einer desinfizierenden Sprühkur der Räder und des Unterbodens unterzogen. Anschließend mussten wir einen großen vollen LKW-Parkplatz (kein europäischer Rasthof!) passieren, der sehr chaotisch war. Irgendwo am Ende („Da hinten!“) war dann das Haus, in dem die Bürokratie wohnt. Einen Teil – die Einreiseformulare für uns – hatten wir im Vorfeld elektronisch ausgefüllt und ersparten uns so vermutlich ein kompliziertes Interview mit dem Officer. Die Einreisegebühr in Höhe von $12 pro Person war hier allerdings in Summe die höchste unserer bisherigen Reise.
Die Auto-Einreise war wieder das Langwierigste. Nachdem wir endlich an der Reihe waren, teilte uns der Herr hinter Glas mit, dass zuerst das Auto hätte gecheckt werden müssen. Also mussten wir wieder raus, um das zu erledigen. Zwei Mitarbeiter schauten in alle Türen, wirkten ratlos ob der vielen Kisten, Taschen und Stauräume und drückten dem Formular schlussendlich ihren Stempel auf. Dann wollten die Beamten noch mich persönlich sehen, weil das Auto auf mich zugelassen ist; mussten wir eine Autoversicherung bei einer „Dame auf Plastikstuhl“ abschließen und wollten wirklich die Gebühr für die Desinfektion noch „Da drüben!“ bezahlen. Keiner mehr da. Feierabend. Wir hatten auch genug und keinen hat es interessiert, ob die Gebühr bezahlt wurde oder nicht.
Also steuerten wir den drei Kilometer entfernten Stellplatz an einem „Freibad“ an, schnupperten kurz noch nicaraguanische Luft beim Einkaufen und Essen am Straßenstand und schafften es müde grad noch zurück und in die, von Marko mit letzter Kraft aufgebauten, Zelte.
Zwei Grenzübergänge an einem Tag sind wirklich eine Hausnummer und nicht wiederholenswert. Wird nicht wieder vorkommen. Zumindest nicht in Mittelamerika…